Gongfucha und Rosengarten des Philosophen
Der Weg des chinesischen Tees wird heute als Gongfu Cha bezeichnet. Viele Menschen verstehen die Zubereitung des Tees als eine Zeremonie. Dieser rituelle Charakter zeichnet sich aus durch die bewusste Bewegung, die bewusste Atmung und die bewusste Langsamkeit. Die Bewegung der Hände gleicht der Bewegung des Fisches im Wasser, dem ältesten und kraftvollsten Symbol der Energie im alten China. Heute wird dieses Symbol, der Fisch, gerne in Parkteichs, in Wohnzimmeraquarien oder auf Keramik verwendet. Der Fisch verteilt die Energie mit seinem kraftvollen Schwanz im Raum, und der Teemensch versucht mit bewussten Bewegungen den Raum mit seinem Herzen zu beleben.
Der Gast sitzt dem Gastgeber gegenüber. Diese Konstellation gleicht einer Beziehung von Gegensätzen. Der Gastgeber stellt eine Beziehung zu bekannten oder fremden Gästen her, indem er die Tassen bewusst platziert. Der Gast antwortet auf diese Beziehung, indem er die Tasse annimmt, den Tee geniesst und die Tasse wieder in Reichweite des Gastgebers bewusst zurückstellt. In diesem Antworten und Erwidern entsteht eine Beziehung. Indem Tee wiederholt aufgegossen wird, indem Tee Runde für Runde geteilt wird, lernen alle den Tee kennen und wandern gemeinsam in einer unbekannten Teelandschaft. Worte und Blicke werden ausgetauscht. Gefühle fliessen. Das Werden und Gehen wird bewusst wahrgenommen. Am Ende der Teerunden wird sich vielleicht etwas herausbilden. Eine Brücke wird nach und nach aufgebaut, während die Gegensätze Schritt für Schritt geklärt werden können. Das gleicht einem Reinigungsprozess, der das Bewusstsein wie die Häutung einer Schlange Schicht für Schicht ablöst.
In diesem Prozess des Bewusstwerdens wird der Teemensch nach innen zu sich selbst geführt, während er sich aussen mit dem Schöpferischen vereint. Das ist der Teeweg.
Ähnliches geschieht auch in dem Text der Alchemie aus der Frühen Neuzeit «Der Rosengarten des Philosophen». In diesem Text wird der Weg zur Bereitung des «Steins der Weisen» beschrieben, wobei der Weg der inneren Wandlung symbolisch verschlüsselt aufgezeigt wird. Gegensätze werden mit Mann und Frau abgebildet, die gemeinsam in einem Merkurbrunnen baden und sich dem Wandlungsprozess unterziehen. Sie werden nach wiederholter Reinigung und Vereinigung am Ende als neue Einheit erscheinen.
Ich wage es, mir das Bild dieses Rosengartens zu leihen, um den Verwandlungsprozess auf dem Teetisch darzustellen: der Tee als Sinnbild des Merkurbrunnens, dessen Raum Gegensätze umfasst und ein Gefäss, welches das Neue bildet. Wenn das Bewusstsein anfängt zu mutieren, können Gegensätze geklärt, gereinigt und integriert werden. Durch jeden Aufguss auf dem Teetisch findet der Prozess erneut statt. Der Anfang ist gleichzeitig das Ende. In diesem Kreislauf mutieren erst unser Bewusstsein und dann unsere Haltung zur Welt.